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Minsker Miniaturen

Seit vielen Jahren besteht zwischen der Weißrussischen/Belarussischen Staatlichen Universität für Informationstechnik und Radioelektronik (BSUIR) in Minsk und der Bergischen Universität eine Hochschulpartnerschaft, in deren Rahmen regelmäßig Dozenten- und Studentenaustausche stattfinden.

 

Seit vielen Jahren besteht zwischen der Weißrussischen/Belarussischen Staatlichen Universität für Informationstechnik und Radioelektronik (BSUIR) in Minsk und der Bergischen Universität eine Hochschulpartnerschaft, in deren Rahmen regelmäßig Dozenten- und Studentenaustausche stattfinden. Rektor Prof. Dr. Volker Ronge hat die BSUIR mehrfach besucht und beschreibt seine Eindrücke von "West triff Ost".

(1)

Es ist furchtbar, "wenn du verstehst, daß du allein bist, daß im Westen das dir feindlich gesinnte Europa liegt und im Osten Rußland, das zwar nicht dein Feind, aber weitaus gefährlicher ist als ein Feind." So beschreibt ein in Minsk lebender Autor der jüngeren Generation, Artur Klinau, sein Lebensgefühl, das sicherlich von vielen seiner Landsleute geteilt wird (Minsk, Edition Suhrkamp, Frankfurt/M. 2006). Dieses weißrussische Empfinden passt durchaus zu unserer, wiederum durchschnittlichen, "westlichen" Sicht auf dieses Land zwischen Polen und Russland mit seinen 10 Millionen Einwohnern, das nach der Auflösung der Sowjetunion ein selbständiger Staat geworden ist, das national-eigenständig sein will und sich doch zugleich im Rahmen der nachsowjetischen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) dem großen russischen "Bruder" mehr als andere Nachfolgestaaten verbunden fühlt.

Wir im Westen wissen wenig über Belarus. Der noch zu Sowjetzeiten 40 Kilometer außerhalb der Stadt gebaute Flughafen von Minsk wird nur von wenigen westlichen Fluggesellschaften angeflogen. Mit kaum einem Land, Russland natürlich ausgenommen, hat Belarus visafreie Beziehungen, vor allem nicht mit seinen Nachbarn im Westen und Norden, die inzwischen Mitglieder der EU sind. Wegen seines diktatorischen Regimes unter Präsident Lukaschenko halten wir Weißrussland für den letzten kommunistisch gebliebenen Rest der aufgelösten, implodierten Sowjetunion (UdSSR). Unsere Einstellung zu diesem Land – und seinem Volk – oszilliert irgendwo zwischen Unkenntnis, Abscheu, Ablehnung.

Dabei gäbe es viele Gründe für eine andere Einstellung, so verständlich die Ablehnung einer spätkommunistischen Diktatur auch ist: Weißrussland war vielen deutschen Wehrmachtssoldaten zweier Weltkriege gut bekannt, denn es war Durchgangsstation für die Kriegszüge nach Moskau; seine Bevölkerung wurde – von Deutschen vor allem, aber auch von Russen der Roten Armee – um Millionen Menschen dezimiert. Weißrussland bildete, in größerer historischer Perspektive, das Kernland des spätmittelalterlichen Litauen, welches über Jahrhunderte hinweg, lange Zeit dynastisch mit Polen verbunden, den östlichen Teil eines katholischen und protestantischen Europas bildete und damit eine Frontstellung zum orthodoxen Russland einnahm. Minsk war eine europäische Stadt, mit Magdeburger Stadtrecht, bevor es im "Schutz" der Teilung Polens unter Zwang russifiziert und ostkirchlich umgepolt wurde.

Es ist nicht verkehrt, dies alles zu wissen, bevor ich meine höchst subjektiven Eindrücke von und in Minsk schildere, die ich im Zuge der Hochschulpartnerschaft gewonnen habe. Ich schildere sie in kleinen Skizzen, ohne jeglichen "großen2 Anspruch. Ich will und kann damit niemandes Bild von Weißrussland beeinflussen.

Das durchschnittliche westliche Bild von Weißrussland sieht sehr einfach aus: schlicht negativ. Mein eigenes, immerhin ein wenig erfahrungsgetränktes Bild ist zwar nicht einfach gegenteilig-positiv, es ist nur offener, auf Differenzierung angelegt und um Differenzierung bemüht. Und es ist, glaube ich, fairer gegenüber den Menschen. Denn der Umstand, in einer Diktatur zu leben, macht ja nicht ein ganzes Volk zu Klonen des Diktators – wir Deutschen sollten ein Gefühl dafür haben.

(2)

 

Die Restaurant-, Kneipen-, Cafékultur in Minsk hat erst wenig von ihrer "sowjetischen" Anmutung verloren. Kein Vergleich mit der Entwicklung in Moskau oder St. Petersburg nach dem Ende der Sowjetzeit! Es gibt inzwischen auch in Minsk McDonald’s,   und dieser Fastfood-Versorgungstyp wird von der Bevölkerung, insbesondere der jüngeren, gut angenommen und stark nachgefragt. Als vor zehn Jahren die erste McDonald’s-Vertretung in Minsk erfolgen sollte – in Moskau war das schon passiert –, da gab es noch Proteste in der Bevölkerung gegen diesen "unkommunistischen" Westimport: ganz anders als in Moskau, und irgendwie sympathisch.

Um abends noch ein Bier zu trinken, muss man in Minsk sehr lange suchen, viele Möglichkeiten gibt es nicht und die wenigen attraktiven Plätze sind überfüllt – und schrecklich verraucht. In einer an sich wenig einladenden, aber immerhin offenen Bar fand ich noch Platz für ein Bier und etwas zu essen. Ich war zunächst fast allein in der kleinen Bar-Kneipe. Später kam eine Gruppe von Jugendlichen ins Lokal und setzte sich zwei Tische weiter. Nach einiger Zeit sprach mich einer von ihnen in Englisch an. Das Übliche: Woher ich komme, und wie es mir in diesem Land gefalle. Ich antwortete irgendetwas unverfänglich Freundliches und meinte das auch so. Und dass es wohl eine Differenz zwischen den Menschen und der Politik in ihrem Land gebe, die Menschen aber ja nichts für ihre Politiker könnten.

Die Jungs – sie entpuppten sich als Jurastudenten an der Staatlichen Universität der Hauptstadt – reagierten überraschend: Sie liebten ihr Land überhaupt nicht, wollten weg, ins Ausland. Sie sagten das mit einer Deutlichkeit, die sich wohl nur riskieren ließ, weil ich erkennbar Ausländer aus dem Westen und ansonsten kein Zuhörer da war. Junge Leute, privilegiert an der Universität studierend, "staatsnahe" Jurastudenten, wollen ihr Land verlassen – und sie werden es tun, sobald sie Gelegenheit dazu finden.

(3)

Mittagessen in kleiner Runde mit dem Rektor unserer Partneruniversität, ohne große Förmlichkeit, was die guten, etablierten Beziehungen zwischen unseren beiden Universitäten und zwischen uns beiden Rektoren ausdrückt; in einer zur Uni gehörenden Edelmensa mit Bedienung, in der auch abendliche Veranstaltungen, Diskothekentanz und ähnliches stattfinden. Ein Separée für den Rektor und seinen Gast, wie es sie überall in russischen Unis gibt. Überraschenderweise kein Wodka, sondern Rotwein. Ein Fortschritt, verglichen mit früheren Zeiten.

Der Rektor entschuldigt sich dafür, dass er vorzeitig gehen müsse: er sei, zusammen mit allen anderen Leitern der Betriebe und Institute des Stadtbezirks, einbestellt zu dessen Chef, sozusagen dem Bezirksbürgermeister oder -vorsteher. Der Stadtbezirk hat 190.000 Einwohner, er ist damit der bevölkerungsstärkste Bezirk in der 1,7 Millionen-Stadt.

Der Rektor erinnert sich und mich an eine Frage, die er mir bei einem Besuch in Wuppertal einmal gestellt hatte: wie das Verhältnis der Universität zur Standort-Kommune gestaltet sei. Damals sei er über meine Antwort, dass Universität und Kommune völlig unabhängig voneinander seien, verwundert gewesen. Beim gemeinsamen Essen am nächsten Tag berichtet der Rektor, wozu er zum Bezirkschef einbestellt worden war. Es muss eine Art Befehlsausgabe gewesen sein: Die Behörden- und Betriebsleiter des Stadtbezirks erhielten Anweisungen zu Aufgaben in der kommenden Zeit wie etwa für Sauberkeit zu sorgen, die Gebäude zu verschönern und ähnliches. Auf die Frage eines Gesprächsteilnehmers nach Geld für die entsprechenden Aufwendungen habe der Bürgermeister geantwortet, dass er viele Aufgaben zu verteilen habe, aber Geld keines.

Der Rektor muss alles, was ihm von der Kommune aufgetragen worden ist, aus seinem Hochschuletat bestreiten und dafür andere, eigene Projekte zurückstellen. Eine für uns aus dem Westen sehr fremde Prioritätensetzung, die keine Rücksicht auf Funktionsdifferenzierung und Staatsebenen nimmt.

(4)

Obelisk am Siegesplatz in Minsk.

Foto Schmaecky

Frühmorgens in Minsk. Der Übergang von der Nacht zum Tag dauert, der nördlichen Lage der Stadt geschuldet, lange. Stundenlange Dämmerung bei Sonnenaufgang ebenso wie bei Sonnenuntergang. Allerdings ist im Minsker Stadtzentrum auch die Nacht hell erleuchtet. Das gehört zur Politik des Staatspräsidenten, die hohen Energiekosten dafür werden ignoriert.

Bevor die morgendliche Rush Hour beginnt, werden viele kleine Reinigungstrupps, meist zu zweit und meistens ältere Frauen, tätig. Sie fegen die Straßen, bessern abgetretene Rasenteile aus, bepflanzen Grünstreifen. Am künstlichen See mitten in der Stadt fischen die Saubermänner bzw. -frauen mit Köchern an langen Stangen Papier, leere Bierflaschen und anderen Müll aus dem Wasser. Der Randstreifen wird von Zigarettenkippen gesäubert.

Minsk ist, jedenfalls im Zentrum, so sauber, wie ich noch keine Großstadt (außer vielleicht Singapur) erlebt habe. Vermutlich sind die Putzbrigaden immer nur für einige Stunden frühmorgens von der Stadtverwaltung angestellt – vielleicht so, wie bei uns die Zeitungsausträger. Ein Job, der ein wenig zusätzliches Geld einbringt.

(5)

Nach der Lektüre von Kinaus Buch über Minsk mag man gar nichts mehr darüber sagen, weil es nur eine Wiederholung seiner Darstellung bedeutet, aber richtig ist es doch: Minsk gibt sich im Zentrum eine beeindruckende, meistens viel zu bombastische Fassade. Nicht erst der heutige Staatspräsident hat damit angefangen. Als Modell für Moskau sei Minsk gemeint gewesen, so Kinau, in Moskau sei das Urbanitätsprojekt dann aber an der Komplexität gescheitert und nicht zu Ende geführt worden, in Minsk wurde es planmäßig realisiert: im Kleinen ein nichtrealisiertes Moskau-Projekt. Der Minsker Erneuerungsmodus sei schon seit Jahrhunderten die völlige Zerstörung des Alten zum Aufbau des Neuen gewesen. Die durch das Land verlaufenen Kriegszüge haben diesem Modus mitgedient. Der diktatorische Präsident sorgt, übrigens ganz ähnlich wie der Stadtpräsident von Moskau (Luschkow), für ein positives Erscheinungsbild seiner Hauptstadt: mit renovierten Fassaden, mit Sauberkeit und aufwendiger elektrischer Beleuchtung. Vorgetäuschter Wohlstand. Auf dem Land herrscht dagegen brutalste Armut. Aber ein klein wenig besser als zu Sowjetzeiten geht es auch dort den Menschen, deshalb wählen sie Lukaschenko, keineswegs nur unter dem Druck des von ihm erzeugten Staatsterrors.

Jeden Morgen fährt der Präsident mit dem Auto in sein Amt, die Straßen werden für diese Fahrt kurzerhand abgesperrt. Kein großer Aufwand: zwei Polizisten an jeder Straßenkreuzung am Dienstweg des Präsidenten. Alles präzise per Telefon organisiert, der Verkehr wird kurz angehalten. Das war’s. Und niemand nimmt Anstoß daran.

Foto Giancarlo Rosso

Erst kürzlich wurde eine große neue Staatsbibliothek am Stadtrand von Minsk eröffnet: ein architektonisches Unikum mit viel Platz drumherum, damit es auch richtig zur Geltung komme. Den Hauptteil des Gebäudes bildet eine riesige gläserne Kugel. Darin werden die Bücher magaziniert und können – mit deutscher Fördertechnik! – entnommen und wieder zurückgeschickt werden. Die Kugel wird nachts mit einer komplizierten Elektrik blau-kalt beleuchtet – sehr eindrucksvoll, etwa so wie Xenon- Scheinwerfer eines dicht von hinten auf der Autobahn bedrängenden BMW.

In der Bibliothek gibt es kaum Ausleihverkehr. An Stelle dessen werden ständig, gegen Gebühren, Führungen veranstaltet, die dem Publikum alles Mögliche im Haus von fast leeren Computerarbeitsplätzen bis zu den realsozialistischen Gemälden auf den vielen Rundgängen zeigen, nur keine Bücher. Für die Räume, wo Bücher und Zeitschriften stehen, ich habe nichts davon zu sehen bekommen, braucht man einen codierten Bibliotheksausweis.

Um das Geld für dieses Gebäude aufzubringen, mit dem sich der Präsident ein steinernes Denkmal setzen wollte, eines von vielen, wurden die Minsker Beschäftigten gezwungen, einen Tageslohn abzugeben. So entsteht wahres Volkseigentum.

(6)

Bei einer der für die östlichen Hochschulen typischen, regelmäßig im Ein- oder Zweijahresrhythmus abgehaltenen Wissenschaftlichen Konferenzen, die das gesamte Disziplinenspektrum der jeweiligen Einrichtung abdecken und in gewisser Weise an die Stelle von wissenschaftlichen Zeitschriften im Westen treten, spielen neben zwei Bulgaren und drei Kollegen aus Litauen ein Kollege von einer ostdeutschen Fachhochschule und ich den Part der Internationalität. Die Internationalität ist in einem Land wie Belarus von herausragender Bedeutung: für die Reputation im Land, auch zur Beantragung von Finanzmitteln vom Ministerium.

Zur Verabschiedung von uns zwei Professoren aus Deutschland bitten die beiden jungen Deutsch- bzw. Englischlehrerinnen, die für die gesamte Konferenzdauer zu unserer Betreuung eingeteilt waren, fast unter Tränen, dass wir bitte wiederkommen möchten. Wir versprachen’s, ernsthaft.

Kinaus Beschreibung konkret, am einzelmenschlichen Beispiel. Und was solches Erleben in einem anrührt! Belarus, wie kommunistisch, diktatorisch, hinterwäldlerisch auch immer, braucht und verdient Zuwendung – um seiner Menschen willen.
 

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