Gegensätze – Island und Azoren
Radierungen, Tusche, Ölbilder von Odile Liron-Schlechtriemen - Ausstellung in der Kneipe des Hochschul-Sozialwerks Wuppertal
Die Gegensätze, Unterschiede aber auch die Gemeinsamkeiten Islands und der Azoren hat Odile Liron-Schlechtriemen auf Ihren Wanderungen erkundet. In Radierungen, Tuschezeichnungen und in Ölbildern hat sie ihre Eindrücke künstlerisch verarbeitet. Nun sind ihre Werke in der „Kneipe“ des Hochschul-Sozialwerks Wuppertal ausgestellt. Je ähnlicher etwas ist, umso größer ist der Reiz der feinen Unterschiede. Dies gilt auch für die - den meisten von uns so fernen und fremden - Landschaften Islands und der Azoren. Die in Wuppertal lebende Malerin und Musikerin Odile Liron-Schlechtriemen, eine ambitionierte und erfahrene Bergwanderin, hat dem Reiz nachgegeben und sich auf die Suche begeben. Die Gegenüberstellung der Landschaften Islands einerseits und der Azoren andererseits bezieht ihren Sinn aus einer Mehrzahl von geologischen Gemeinsamkeiten wie Inselstatus, Vulkanismus, Kraterbildung, Geysieren , Wasserfällen, Felsküsten. Island ist eine einzige Vulkanlandschaft und zwar die größte Vulkaninsel unseres blauen Planeten. Vier große Gletscher, von denen der größte, Vatnajökull, eine Breite von 140 km erreicht, tragen zur Destabilisierung der Erdkruste bei. Vatnajökull hat drei aktive Vulkane, die zu jederzeit ausbrechen können. Ein solcher Ausbruch ereignete sich zuletzt im Jahr 1996. Die vulkanische Landschaft Islands hat sich durch Regen und Wind über Millionen von Jahren ständig verändert, die Erosionsprozesse hier sind die stärksten auf der Erde. Täler und Berge, wie sie heute sind, können nach mehreren Vulkanausbrüchen ganz andere Strukturen bilden. Was besonders beeindruckt, sind die von grünem Moos bedeckten Lavafelder. Die Ursprünglichkeit dieser Natur macht klar, wir sind ein Teil von ihr. Mitten in der Landschaft zeigen sich rot bis orange gefärbte Eisenergüsse und hier und da Schwefelbecken mit Geysiren, die den Besucher erschrecken können. Im Skaftafell, dem Nationalpark Islands, kann man feststellen, dass die Erde gar nicht fest ist, man kann ganz schnell im Schlamm versinken – je mehr man sich dem Berg nähert, desto unsicherer und gefahrlicher wird der Gang. Wer zum ersten Mal nach Island kommt, wird auch überrascht sein, hier in so nördlichen Regionen ein derart helles und intensives Licht anzutreffen. Die differenzierte Farbpalette der Gletscher, Lavafelder und Geysire stellt eine Herausforderung für den Maler dar. Die Inselgruppe der Azoren gehört zum portugiesischen Staatsgebiet und befindet sich etwa in der Mitte der Luftlinie zwischen Lissabon und New York. Die neun kleinen Inseln liegen zerstreut in zum Teil erheblichen Abstand, der zwischen den entferntesten Punkten über fünfhundert Kilometer beträgt, so dass die Inseln heutzutage hauptsächlich über Flugverkehr miteinander kommunizieren. Wie Island sind auch die Azoren vulkanische Inseln, im Unterschied jedoch zu der kaum bewachsenen Insel der Polarzone verfügen sie über eine üppige subtropische Vegetation. Diese verdankt sich der südlichen Lage und den Einflüssen eines Nebenarmes des Golfstromes. Die Landschaft ist auf den meisten Inseln gebirgig, der höchster Berg Pico auf der gleichnamigen Insel erreicht eine Höhe von 2350 m. Zur Küste hin fallt das Land vielerorts sehr schroff ab. Wie in Island finden sich intakte Erscheinungen von Vulkanismus, wie heiße Quellen, Geysire, Schwefeldämpfe. Die zahlreichen Kraterseen sind von tiefgrünen Wäldern umsäumt und bilden ein eindrucksvolles Panorama. Es ist nachvollziehbar, dass die entsprechenden Landschaftstypen jeweils ein malerisches Thema formulieren und die Malerin vor eine Aufgabe stellen, die im Falle Islands bzw. der Azoren jeweils eine unterschiedliche Auflösung erfordert. Wie ein Naturwissenschaftler zum unmittelbaren Vergleich unterschiedlicher Objekte oder Phänomene jeweils die gleichen Instrumente einsetzt, macht Odile Liron-Schlechtriemen in beiden Fällen der malerischen Umsetzung von den gleichen künstlerischen Darstellungsverfahren Gebrauch: der Skizze, der Strichätzung, dem Aquatintaverfahren bzw. der Tuschezeichnung und der Ölmalerei.
Zunächst zur künstlerischen Vorgehensweise: Die Radierung, die bereits von den Alten Meistern wie Dürer, Rembrandt oder Goya praktiziert wurde, beginnt mit einer einfachen Skizze, die sich ganz auf die Linienführung beschränkt. In der folgenden Strichätzung werden die Linien in eine Zinkplatte eingraviert. Eine Erweiterung um das Darstellungselement der Fläche erfolgt im dritten Schritt, der Aquatintaätzung.
Während bei der Radierung die Linie über die Fläche dominiert, stehen beide bei der Tuschezeichnung in einem eher gleichrangigen Verhältnis. Durch die breite Strichführung erwächst die Linie aus der Fläche. Durch Feuchthaltung des Papiers, fließen die Farben an den Übergängen ineinander und ergeben flächige Zwischenstrukturen. Den Höhepunkt der Dominanz der Fläche über die Linie schließlich stellt die Ölmalerei dar. Hierbei mischt die Künstlerin alle für ein Bild verwendeten Farben aus höchstens drei Farbtönen an, die jedoch selbst Mischungen der Elementarfarben Rot, Gelb und Blau sind. Der Farbauftrag erfolgt in mehreren Schichten und kann von wenigen Tagen bis zu zwei Wochen dauern. Dabei gewinnt das Bild Schritt für Schritt während des allmählichen Trocknens an Plastizität und an Weichheit der Übergänge. Hinsichtlich des Stils sind die Bilder von Odile Liron-Schlechtriemen in den letzten Jahren realistischer geworden, indem sie sich stärker als früher am natürlichen Anblick der Dinge orientieren. Sie bleiben jedoch irreal, insofern sie dabei keineswegs die photographische Abbildung anstreben, sondern vor allem die Stimmung und das innere Bild, das die Landschaft vermittelt, wiederzugeben versuchen.
Der gegensätzliche Charakter von Island und den Azoren spiegelt sich wider in der gewählten Farbgebung der Bilder. In den isländischen Impressionen herrschen naturgemäß die kalten Töne vor, vor allem das Weiß ist überall im Bild präsent. In den Gletschern färbt sich das Weiß in ein helles Blaugrün, das durch die Lichtbrechung stellenweise kaum merklich von einem Zitronengelb durchdrungen ist. Im Gegensatz dazu sind die Farben in den Azorenbildern deutlich wärmer gehalten. Ein leicht mit Weiß aufgehellter Rot-Ocker-Ton hebt die erdige, materielle Präsenz der Landschaft hervor. Die vulkanischen Flächen der Azoren sind reich bewachsen und stellen sich in tiefen dunklen Farben dar. Im Gegensatz dazu sind die isländischen Lavafelder nur von einer oftmals unterbrochenen dünnen Moosschicht überzogen und verlangen in der Darstellung eine helle und leichte Farbgebung, die der Landschaft einen schwebenden Charakter verleiht und dadurch die Erde dem Himmel anzunähern scheint.
Odile Liron-Schlechtriemen, geb. 1953 in Paris, Abitur 1972, Studium der Germanistik an der Sorbonne, daneben seit 1967 Hochschulklassen für Klavier am Konservatorium in Neuilly. Ab 1973 Selbststudium der Malerei, Begegnung mit der Kunst Alfred Manessiers, seit dieser Zeit ununterbrochene malerische Produktion. Seit 1977 Aufenthalt in Deutschland, Intensivierung der künstlerischen Tätigkeit. Seit 1986 Ausstellungen in Wuppertal und Umgebung.
1973-1975 Studium an der Folkwang Hochschule in Essen (Meisterklasse Detlev Kraus). 1996 Meisterkurs bei Prof. Konstantin Bogino (Tschaikowsky Trio) in Paris und wiederholter Besuch in 1997.
Erschienen am: 20.10.2006
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